„Grow or go“ sei die Devise, erklärte Welte. Der Burda-Konzern habe „sehr früh erkannt, dass wir uns verändern müssen. Das traurige Sterben unserer Industrie ist längst Realität geworden“. Statt den Abgang zu machen, habe sich Burda Wachstum verordnet. Im Fokus stehen dabei neue Erlösströme, um unabhängiger von der „Volatilität“ des Werbemarkts zu werden. 2017 sei ein „historisches Jahr“ gewesen, in dem man die ersten Früchte des „tiefgreifenden Transformationsprogramms“ erntete: 28 Prozent des Umsatzes stammten aus neuen Erlösquellen „rund um unsere legendären Marken“.
Denn die „publizistische, verlegerische DNA“ dürfe nicht mutieren, warnte Welte: „Je mehr Technologie, umso bedeutender wird die Sehnsucht der Menschen nach dem Gegenteil, nach Emotionen. Die Menschen lieben unsere Produkte, das gilt nicht nur für Burda, das gilt für gesamte Industrie.“
Rutishauer skizzierte die „Antwort der Tamedia auf die Schweizer Medienrevolution“. Denn sinkende Auflagen, sinkende Werbeeinnahmen, das plagt auch die eidgenössische Branche. Die Tamedia habe früh digitalisiert, „von dem her haben wir nicht unbedingt Alarmstimmung“. Doch nun stelle man sich „redaktionell ganz neu auf“. Die insgesamt zwölf Bezahlzeitungen werden neu von zwei Zentralredaktionen erstellt. Das bedeute die Zusammenführung von 145 Journalisten und 14 Ressorts, umriss Rutishauser das „Projekt 2020 Tamedia“. Die Herausforderung sei, den Lesern keinen „Einheitsbrei“ zu servieren, sondern die Unabhängigkeit der Titel zu wahren – etwa durch viele regionale „Fenster“ im Mantel.
Das bisherige Feedback von Publikum und Politik sei überwiegend positiv. „Die journalistische Qualität hat nicht darunter gelitten“, so das Fazit des Chefredakteurs. Er sei sich aber der demokratiepolitischen Dimension bewusst in einem Land wie der Schweiz, wo direkte Demokratie eine solch große Rolle spiele. Selbst in einer „Einheitszeitung“ den innerschweizerischen Diskurs zu ermöglichen und darzustellen, „das ist es, woran wir uns messen lassen müssen“.
Erfolgreich fahre die Tamedia auch mit ihrer Bezahlstrategie. „Wir haben 2017 angefangen, einzelne Artikel auf Bezahlen zu schalten“, dies habe eine „massive Vergrößerung der Bezahlbeziehungen“ gebracht. Tages- , Kurz-, Vollabos hätten zugelegt. „Etwa ein Drittel all der Leute, die bei uns einen Artikel kaufen, kaufen nicht nur einen Artikel, sondern ein Abo, das sie irgendwie verlängern“, berichtete Rutishauser.
Diskussion über Verhältnis zu Facebook
Zudem wurde bei der Veranstaltung unter anderem intensiv über Strategien im Umgang mit dem sozialen Netzwerk Facebook diskutiert. Das Meinungsspektrum erstreckte sich von düsteren Demokratie-Szenarien zu pragmatischeren Einschätzungen von Facebook als Distributionskanal.
Corinna Milborn (Puls 4) warnte etwa vor der „zerstörerischen Kraft, die Massenmedien entwickeln können“. Der Facebook-Algorithmus reihe „Hass, Lügen, Hetze hinauf“, Facebook fühle sich dafür aber nicht verantwortlich. Dies sei ein „Angriff auf die Art, wie Demokratie funktioniert“. Milborn, die gemeinsam mit ProSiebenSat.1Puls4-Chef Markus Breitenecker ein Buch über diese Thematik – „Change the Game“ erscheint im Juni – geschrieben hat, stört vor allem, dass sich Plattformen wie Facebook nicht an die selben Regeln wie klassische Medien halten müssen. Doch „Facebook ist Herausgeber eines sehr mächtigen Massenmediums: des Newsfeeds.“
„Zeit“-Geschäftsführer Rainer Esser sieht das alles viel gelassener. Die Darstellung von Facebook als „Evil Empire“ findet er überzogen: Auf dem „riesigen Marktplatz“ gebe es „sehr viel Freude, viel Informationen, dass es da auch ein paar Kriminelle auf dem Marktplatz gibt, ist leider in der Menschheit so“. Die „Zeit“ arbeite „sehr gerne mit Facebook zusammen“ und erziele dadurch Online-Traffic. Es brauche Regulierungen, räumte Esser ein, aber grundsätzlich „können wir als Verlage viel lernen von Facebook“. Etwa: „die Zentrierung auf den Nutzer“. Jegliche Gegeninitiative von klassischen Medien müsse sich das „Engagement der Nutzer“, wie Facebook, auf die Fahnen schreiben. „Wenn die Leute mehr Zeit auf Facebook als auf ‚Zeit online‘ verbringen, ist das nicht das Problem von Facebook, sondern von ‚Zeit online‘.“
Facebook sei „nicht besser im Inhalt, sondern besser darin, den Inhalt zu aggregieren“, hielt Max Schrems, bekannt geworden mit seinen Klagen gegen das Netzwerk, fest. Ihm wird in der Debatte zu viel vermischt: die Technologie, die Plattform, der Algorithmus, das Geschäftsmodell. Der strengste regulatorische Rahmen sei sinnlos, wenn die Vorschriften nicht durchgesetzt werden, kritisierte er. Mit seinem neuen Verein werde er noch im Mai die ersten Beschwerden einbringen. Etwa gegen die „Zwangszustimmung“, die Google-User abgeben müssten, um die Suchmaschine und ihre Dienste zu nutzen: Ein solches „Kopplungsverbot“ verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Regulierungsschritte „beherzter als bisher“ erwartet sich Thomas Krüger, Präsident der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung. „Es geht nicht um Verteufelung“, betonte er, warnte aber in seiner Keynote auch vor einem „globalen Datenkolonialismus“ und einem „mephistophelischen Pakt“. Medien, Unternehmen und Institutionen müssten abwägen: „Was nimmt man in Kauf für das, was man kriegt“ durch eine Präsenz auf Facebook. „Wir zahlen einen relativ hohen Preis, das ist noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen.“